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01.09.2024

Der ganze Mensch ist "Herz"

Bild: sweetlouise/pixabay in: Pfarrbriefservice.de

Immer wieder sind Menschen von Jesus weggegangen, weil sie etwas von dem, was Jesus sagte mit dem Verstand nicht einordnen konnten. Wer etwas von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens begreifen will, muss lange zuhören, lange nachdenken und vor allem mit dem Herzen zu verstehen suchen. Wer dagegen gleich mit Abneigung, Vorurteil oder Besserwisserei an die Sache geht, wird wenig verstehen.

Darum sagt Jesus: Folgt mir nach! Geht mit mir, erlebt mit mir, wie sich Dinge anfühlen und was sie mit einem Menschen machen, wenn er sich darauf einlässt.

Heute wäscht Jesus seinen Jüngern und Zuhörern nicht die Füße – sondern eher den Kopf, wenn er sagt: "Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich ist's, wie sie mich verehren."

Ja - wieder einmal eines der bitteren Worte, insbesondere bitter, weil es diesmal nicht einfach an die Menschen gerichtet ist, sondern - darf ich das so hart sagen - an die Besucher des Gottesdienstes im Tempel, in der Kirche, an Israel, an die Christen. Da zuckt es doch ein bisschen in uns. Aber wollen wir es einmal so stehen und gelten lassen und uns dem aussetzen, behutsam, nur grad so, dass wir wenigstens versuchen zu verstehen, was das Wort meint: Das Herz aber ist weit weg von mir.

Der ganze Mensch heißt in der Schrift Herz.  Dieses Wort meint all das, was das deutsche Wort meint, aber darüber hinaus auch all das, was das Wort Verstand bedeutet. Aber Herz, Verstand, meint auch das, worin wir ein Wesen sind mit Sinnen und Trachten und planen auf der Suche nach Erfolg und mit Zupacken und Ergreifen und Gewinnen. Der ganze Mensch ist „Herz" heißt, es geht ihn um Erfolg, und Erfolg ist immer ein Gütergewinn, ein Gewinn irgendeines Guts zum Genuss und Verzehr, weil das Herz meint, es hätte das Leben, wenn es diese Güter hätte.

Dann aber meint "Herz" auch all das, was da im Evangelium aufgezählt worden ist: Um zu Gütern zu kommen, zum Erfolg zu kommen, zu Gewinn, zum Leben, da greifen wir auch schon einmal zu Mitteln, die nicht unbedingt ganz in 0rdnung sind. Das führt dann unter Umständen - es ist eine schreckliche Aufzählung - zu bösen Gedanken: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Betrug, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut. Ja wird er denn gar nicht fertig mit Aufzählen? Er leuchtet unsere bösen Möglichkeiten aus. Und immer, wenn es sich um so etwas handelt, heißt es: Aus dem Herzen komme das alles. Aber noch etwas: Da kommen wir zu Gewinn, kommen zu Gütern, haben das Leben, genießen es, und irgendwann ist das nicht mehr so. Und dann beginnt das Herz, Ängste zu haben, dann beginnt das Herz, sich zu weigern, dann ist das Herz am Ende fassungslos, fassungslos vor den Ende des Lebens. Es führt kein natürlicher Weiterschritt aus dem Leben ins Sterben.

Dann heißt es, dieses Herz, unser Herz, sei in die Begegnung gerufen mit Gott. Wo ist Gott? Auch das haben wir mittlerweile gelernt: Wir dürfen uns Gott nicht vorstellen irgendwo über dem Firmament, über den Wolken, am Himmel da drüben. Gott ist unter uns! Zu Gott und seinem Anwesen auf Erden gehört die Versammlung der Menschen, gehört die Nachbarschaft der Menschen, denen er Mitte ist. Für Israel war es das Heiligtum, der Tempel, die Bundeslade, und wir hier haben diesen Altar, diesen Tisch. So ernst müssen wir ihn einmal nehmen: Für unser Herz ist er in unserer Mitte aufgestellt, in der Mitte der Versammlung. Und was hier geschehen soll, ist Begegnung, nicht eigensüchtiger Lauf auf ein Ziel. So sollte gelten: Zurückhaltung in vornehmem Abstand; erst herkommen in Aufmerksamkeit und dann innehalten in vornehmen Abstand, dass uns aufgehen könnte, was da ist und geschieht. Er kommt uns zu Hilfe in unserem armen Herzen, auf dass unser Herz nicht weit weg von ihm sei, sondern offen, ihm nahe – Er in uns, mitten in unserem Herzen.

Ewald Scherr, Pfarrer i.R.